IW-Bildungsmonitor zeigt dramatische Defizite im Schulsystem
Der IW-Bildungsmonitor, erstellt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), ist seit vielen Jahren eine der regelmäßigsten und datenreichsten Bestandsaufnahmen zum deutschen Bildungswesen.
Die jüngsten Berichte und ersten Presseauswertungen zeichnen ein zwiespältiges Bild: Fortschritte in Bereichen wie Betreuungsbedingungen und Internationalisierung stehen markanten Rückschritten bei Schulqualität, Integration und der Verringerung von Bildungsarmut gegenüber. Diese Analyse fasst zentrale Befunde zusammen, erläutert Ursachen, benennt Folgen und skizziert politische Handlungsoptionen.
Kernaussagen: Wo liegen die größten Verschiebungen?
Ein prägnanter Befund der aktuellen Auswertungen lautet: Gegenüber dem Referenzjahr 2013 wiesen zentrale Handlungsfelder deutliche Abschläge auf. Besonders auffällig sind dabei die Einbußen in der Schulqualität und bei der Integration von Kindern mit Zuwanderungsbiografien. Erste Presseberichte zur neuesten Monitor-Ausgabe sprechen von Rückgängen in der Schulqualität um rund 28 Punkte und von Einbußen in der Integration im Bereich von mehreren Dutzend Punkten gegenüber 2013; diese Zahlen führten zuletzt zu intensiven öffentlichen Debatten.
Gleichzeitig zeigen die Zeitreihen: Nicht alles ist rückläufig. Bereiche wie Internationalisierung, Förderinfrastruktur (z. B. sonderpädagogische Unterstützung, Förderangebote) und Betreuungsbedingungen (Ganztagsangebote, Kinderbetreuung) verzeichnen in vielen Ländern Fortschritte gegenüber 2013 — die Schere zwischen Teilbereichen des Systems ist also größer geworden.
Ländervergleich: Gewinner und Verlierer im Bundesländerranking
Der Bildungsmonitor arbeitet mit 13 Handlungsfeldern und rund 98 Indikatoren, was vergleichende Aussagen zwischen den Bundesländern ermöglicht. Kontinuierlich gut abschneiden Bundesländer wie Sachsen und Bayern; Hamburg und das Saarland haben in den letzten Jahren allerdings die stärksten relativen Verbesserungen erzielt. Am unteren Ende der Skala finden sich häufig Bremen, Berlin und teilweise Brandenburg — die regionale Differenz bleibt eine zentrale Herausforderung für die Bildungspolitik.
Warum nimmt die Schulqualität ab? Ursachen im Überblick
Die Ursachen für die negative Entwicklung sind vielschichtig und lassen sich grob in strukturelle, demografische und bildungspolitische Faktoren unterteilen:
- Gestiegene Heterogenität und Integrationsaufgaben: Viele Schulen sehen sich mit höheren Anteilen an Kindern mit Deutsch als Zweitsprache, Flucht- und Migrationserfahrung sowie größeren sozioökonomischen Herausforderungen konfrontiert. Die Folge ist: zusätzliche Förderbedarfe treffen auf ein System, das regional unterschiedlich aufgestellt ist.
- Frühkindliche Defizite: Bildungserfolg wird in hohem Maße schon vor der Schule vorbereitet. Fehlende oder verspätete frühe Förderung — besonders im Bereich Sprachentwicklung — führt später zu Leistungsproblemen. „Entscheidend für Bildungserfolg ist nicht erst die Schule, sondern die Zeit davor“, bringt eine Expertin den Kernpunkt auf den Punkt.
- Personelle Engpässe und Unterrichtsausfall: Lehrkräftemangel, hohe Belastung und schwierige Arbeitsbedingungen führen zu Unterrichtsausfall, weniger individueller Förderung und einer geringeren Unterrichtsqualität.
- Regionale und politische Heterogenität: Bildungspolitik ist Ländersache — Unterschiede in Prioritätensetzung, Ressourcenausstattung und Reformtempo wirken sich direkt auf die Indikatoren des Monitors aus.
Welche Folgen sind zu erwarten — für Kinder, Gesellschaft und Wirtschaft?
Bildungsqualität ist kein Selbstzweck: schlechtere Schulergebnisse bedeuten langfristig geringere Chancen auf qualifizierte Ausbildung, schwächere Erwerbsbeteiligung und höhere soziale Kosten. Für die Wirtschaft steigt das Risiko eines Fachkräftemangels, während die Verteilungseffekte die gesellschaftliche Spaltung vertiefen können. Kurzfristig sichtbar sind Lernrückstände, insbesondere in Lesen und Mathematik, die sich seit der Pandemie verstärkt haben und benachteiligte Kinder überproportional treffen.
Konkrete Befunde zu Integration und Schulqualität
Der Monitor zeigt sowohl quantitative Indikatoren (z. B. Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund, Ergebnisse in standardisierten Tests, Abbruchquoten) als auch strukturelle Variablen (Betreuungsangebote, Förderinfrastruktur). Die Kombination macht deutlich: Integration gelingt dort besser, wo früh angelegte Sprachförderung, größere Förderkapazitäten und eine gezielte Steuerung vor Ort vorhanden sind; dort, wo diese fehlen, sinkt die Schulqualität stärker. Die Diskussion dreht sich inzwischen nicht nur um mehr Geld, sondern vermehrt um zielgenaue Verteilung und Steuerungsinstrumente.
Welche Maßnahmen empfehlen die Gutachter — und welche politischen Optionen gibt es?
Aus den Berichten und Begleitkommentaren lassen sich mehrere praxisnahe und politische Handlungslinien ableiten:
- Frühförderung und verpflichtende Sprachstandserhebung: Verbindliche Diagnostik im Vorschulalter und zielgerichtete Sprachförderung für Kinder mit Defiziten — mit dem Ziel, spätere Förderbedarfe zu reduzieren. „Die Bildungskarriere eines Kindes wird im Kindergarten gemacht“, formuliert eine Fachfrau die Präventivperspektive.
- Gezielte Ressourcensteuerung: Statt pauschaler Erhöhungen sollten Mittel dort gebündelt werden, wo Bildungsarmut und besondere Integrationsaufgaben auftreten — etwa über Sozialindizes oder gezielte Förderprogramme für Brennpunktschulen.
- Lehrkräfteoffensive und Supportstrukturen: Mehr Aus- und Fortbildungsangebote, attraktive Bedingungen für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sowie Team- und Sonderförderkräfte, die Lernrückstände abbauen helfen.
- Durchmischung statt Gettoisierung: Politiken zur Vermeidung sozial geprägter Schulsegregation werden vorgeschlagen — unter anderem durch Wohn- und Schulpolitik, durch Aufwertung einzelner Standorte und durch gezielte Förderangebote.
- Kontinuierliche Lernstandserhebungen: Vergleichbare, aussagekräftige Tests über Ländergrenzen hinweg würden helfen, Lernrückstände früh zu erkennen und Evaluation von Maßnahmen zu ermöglichen.
Praktische Beispiele und Stimmen aus der Debatte
„Wir können die aktuellen Schülerzahlen mit originär ausgebildeten Lehrkräften schon gar nicht mehr abdecken. Heute tragen Kinder oft die elterlichen Probleme in die Schule. Und die Lehrkraft soll es richten.“ — Gerhard Brand, Vorsitzender VBE
Solche Wortmeldungen aus Verbänden und Wissenschaft zeigen die Ambivalenz: Viele Akteure fordern sowohl strukturelle Investitionen als auch pragmatische, schnelle Maßnahmen (z. B. Sprachtests, zusätzliche Förderkräfte). Gleichzeitig warnen Bildungsexperten vor einfachen Schuldzuweisungen: Qualitätseinbußen haben multiple Ursachen und daher sind auch multi-dimensionale Antworten nötig.
Wo liegen die Fallen — und worauf muss die Debatte achten?
Die öffentliche Debatte läuft Gefahr, in populäre Forderungen zu verfallen (mehr Geld, mehr Tests), ohne die Steuerungsseite und die Wirksamkeit konkreter Maßnahmen ausreichend zu prüfen. Ein weiteres Risiko ist die Stigmatisierung von Familien mit Migrationshintergrund—eine nachhaltige Politik muss inklusive, präventive und unterstützende Instrumente kombinieren, ohne Ausgrenzung zu erzeugen. Datenorientierte Evaluationen sind daher unverzichtbar.
Handlungsdruck, aber auch Ansatzpunkte
Der IW-Bildungsmonitor macht deutlich: Deutschland steht an einem Punkt, an dem Teilbereiche des Bildungssystems substanziell unter Druck geraten sind. Die Befunde dokumentieren Probleme — insbesondere bei Schulqualität und Integration —, eröffnen aber zugleich konkrete Ansatzflächen für Reformen (Frühförderung, gezielte Ressourcenverteilung, Lehrkräfteförderung, Lernstandserhebungen). Die Herausforderung besteht darin, aus den umfangreichen Daten präzise politische Prioritäten zu formen und Maßnahmen so zu steuern, dass sie die Wirksamkeit entfalten, die Kindern, Familien und der Gesellschaft mittelfristig nützt.
Zitat zum Abschluss: „Prävention ist günstiger als lebenslange Reparatur.“ — dieses Schlusswort einer Bildungswissenschaftlerin fasst die Leitidee zusammen: Frühe, zielgenaue und gut evaluierte Investitionen zahlen sich sowohl für die Bildungsbiografien einzelner als auch für die Gesellschaft insgesamt aus.