
Die digitale Transformation erreicht die Schulen – und mit ihr die Künstliche Intelligenz. Immer mehr Schülerinnen und Schüler nutzen Tools wie ChatGPT, um Referate vorzubereiten, Texte zusammenzufassen oder Aufgaben zu lösen.
Lehrkräfte sehen sich zunehmend mit Fragen nach der Rolle dieser Technologien im Unterricht konfrontiert. Neben Chancen für personalisiertes Lernen entstehen aber auch Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Vermittlung demokratischer Werte. Denn Demokratiebildung ist mehr als nur ein Unterrichtsthema – sie ist eine pädagogische Haltung und ein Auftrag. Der bewusste und reflektierte Umgang mit KI kann hier eine entscheidende Rolle spielen – wenn Schulen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
Status quo & aktuelle Herausforderungen
Unsicherheit bei Lehrkräften
Laut dem aktuellen „Deutschen Schulbarometer“ vom März 2025 fühlen sich 62 Prozent der Lehrkräfte unsicher im Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Nur 11 Prozent nutzen KI regelmäßig im Schulalltag, während 55 Prozent dies selten oder gar nicht tun. Die Mehrheit setzt KI – wenn überhaupt – funktional ein: zur Aufgaben- oder Unterrichtsplanung. Die Integration in den Unterricht selbst ist selten.
Diese Zahlen spiegeln ein zentrales Problem wider: Lehrkräfte stehen einer technologiegetriebenen Entwicklung gegenüber, die schneller voranschreitet, als sie pädagogisch und didaktisch begleitet werden kann. Die Folgen sind Skepsis, Zurückhaltung und ein fehlender Mut zur aktiven Gestaltung.
Demokratiebildung im Unterricht
Gleichzeitig zeigt die Studie, dass viele Lehrkräfte der Demokratiebildung einen hohen Stellenwert beimessen. 54 Prozent wünschen sich, dass Schulen stärker als Ort demokratischer Bildung wirken. Doch es fehlt an Ressourcen: 77 Prozent nennen fehlende Zeit als Haupthindernis, 45 Prozent bemängeln mangelndes Fachwissen. Auch rechtliche Unsicherheiten, etwa im Hinblick auf Neutralitätsgebote oder Elternfeedback, erschweren eine offene Diskussion politischer und gesellschaftlicher Themen.
Der Anspruch an Schule, junge Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, kollidiert also häufig mit den strukturellen Realitäten im Bildungssystem.
Chancen & Risiken von KI in der Demokratiebildung
Potenziale
Trotz aller Herausforderungen bietet KI erhebliche Chancen für die Demokratiebildung. 57 Prozent der befragten Lehrkräfte sehen in KI eine Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler individueller zu fördern. Adaptive Lernsysteme können auf das jeweilige Lernniveau eingehen, Barrieren abbauen und differenzierten Unterricht unterstützen – ein wichtiges Element inklusiver Pädagogik.
Darüber hinaus kann KI Lehrerinnen und Lehrer bei administrativen Aufgaben entlasten, wodurch mehr Zeit für pädagogische Arbeit und persönliche Interaktion bleibt. So könnte Raum für tiefgreifende Gespräche über gesellschaftliche Verantwortung, Ethik oder politische Teilhabe entstehen – Themen, die sonst im stressgeprägten Schulalltag zu kurz kommen.
Besonders spannend ist die Möglichkeit, KI selbst zum Thema der Demokratiebildung zu machen: Schülerinnen und Schüler lernen, wie Algorithmen funktionieren, welche Daten sie benötigen und welche Risiken sich aus automatisierten Entscheidungen ergeben. Sie setzen sich mit Fragen nach Gerechtigkeit, Datenschutz und Verantwortung auseinander – und trainieren so zentrale demokratische Kompetenzen.
Risiken
Gleichzeitig mahnen viele Lehrkräfte zur Vorsicht. Über 60 Prozent befürchten negative Auswirkungen von KI auf soziale und kommunikative Kompetenzen. Auch die Fähigkeit zum kritischen Denken sehen sie in Gefahr. Wenn KI-Antworten ungeprüft übernommen werden und Schülerinnen und Schüler keine Einordnung mehr leisten, droht eine Verarmung der Reflexionsfähigkeit.
Ein weiteres Problem: die Qualität und Transparenz vieler KI-gestützter Bildungstools. Studien zeigen, dass Systeme wie automatisierte Bewertungsplattformen (z. B. Fobizz-Gradingtool) bei komplexen Aufgaben wie Argumentation oder Kreativität schnell an ihre Grenzen stoßen. Fehlerhafte Rückmeldungen, Intransparenz oder unreflektierte Feedbackstrukturen können hier kontraproduktiv wirken.
Die Demokratiebildung leidet auch, wenn KI einseitig als technologische Lösung ohne pädagogische Rahmung eingeführt wird. Denn Technik allein ersetzt keine pädagogische Haltung.
Pädagogischer Rahmen & Demokratiebildung
KI als demokratische Praxis
Damit KI zum Mittel der Demokratiebildung werden kann, braucht es klare pädagogische Konzepte. Ein reflektierter Umgang mit KI bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur Anwender sind, sondern kritisch verstehen, wie Systeme funktionieren und welche gesellschaftlichen Auswirkungen sie haben. Dies umfasst:
- Die Fähigkeit zur Quellenkritik: Woher stammen die Daten? Welche Interessen stecken hinter der Entwicklung bestimmter Systeme?
- Das Erkennen von Verzerrungen (Bias): Wie werden Minderheiten dargestellt? Welche Weltbilder vermittelt KI?
- Die Diskussion ethischer Fragen: Dürfen Maschinen Entscheidungen treffen? Wer trägt Verantwortung?
Schülerinnen und Schüler sollten aktiv in Entscheidungen zur Nutzung von KI im Schulalltag einbezogen werden – sei es bei der Wahl von Tools, beim Umgang mit Datenschutz oder bei der Bewertung von KI-generierten Leistungen. So lernen sie, dass demokratische Prozesse Teil des Alltags sind – auch im digitalen Raum.
Lehrkräftequalifikation
Zentrale Voraussetzung für all das ist eine fundierte Qualifizierung der Lehrkräfte. 54 Prozent der befragten Pädagoginnen und Pädagogen wünschen sich laut Schulbarometer gezielte Fortbildungen zur KI-Nutzung. Dabei geht es nicht nur um technische Fragen, sondern um pädagogische, ethische und gesellschaftliche Aspekte.
Wichtig ist eine Stärkung der Demokratiebildungskompetenz im Lehrberuf: Wer sich selbst als Moderatorin oder Moderator gesellschaftlicher Fragen versteht, kann technologische Entwicklungen einordnen und mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam reflektieren.
Auch die curriculare Integration von KI-Themen in der Lehrer\:innenausbildung sollte systematisch erfolgen – aktuell ist sie vielerorts noch ein Randthema.
Rahmenbedingungen auf institutioneller Ebene
Viele dieser Prozesse können Schulen nicht alleine bewältigen. Es braucht strukturelle und politische Unterstützung:
- Digitalpakt 2.0: Die neue Auflage des Digitalpakts setzt verstärkt auf adaptive Lernsysteme. Doch ohne gezielte Verankerung von Demokratiebildung droht ein technikzentrierter Zugriff, der pädagogische Aspekte vernachlässigt.
- Infrastruktur & Personal: Schulen brauchen ausreichend Fachpersonal, kleinere Klassen und Zeiträume für demokratiepädagogische Projekte.
- Curriculare Verankerung: Demokratiebildung mit und über KI muss verbindlich im Lehrplan integriert werden – als Querschnittsthema in Gesellschaftskunde, Ethik, Informatik und Deutsch.
Praxisbeispiele & Best Practices
Es gibt bereits erste Ansätze, wie KI sinnvoll in die Demokratiebildung eingebunden werden kann:
- Im Gemeinschaftskundeunterricht analysieren Schülerinnen und Schüler Chatbot-Antworten zu politischen Fragen: Sind sie neutral? Welche Argumente fehlen?
- In partizipativen Projekten entwickeln Klassen Regeln für den KI-Einsatz in Referaten oder Hausarbeiten – von der Quellennennung bis zur Feedbackkultur.
- Im fächerübergreifenden Unterricht werden Rollenspiele durchgeführt: Ein Algorithmus entscheidet über Sozialleistungen – welche ethischen Fragen stellen sich?
Internationale Studien wie die von Oh & Ahn (2024) zeigen zudem, dass KI menschliche Lehrkräfte gut bei administrativen Aufgaben ergänzen kann – nicht aber im sozialen und emotionalen Bereich. Hier bleibt pädagogisches Feingefühl unersetzlich.
Handlungsempfehlungen
Damit KI zur Chance für die Demokratiebildung wird, sind konkrete Maßnahmen notwendig:
- Fortbildungsoffensive für Lehrkräfte: Schulen und Länder sollten niedrigschwellige, praxisnahe Fortbildungsangebote schaffen – mit Fokus auf Ethik, Medienkompetenz und partizipative Didaktik.
- Demokratiebildung systematisch fördern: Es braucht mehr Zeit im Stundenplan, fächerübergreifende Ansätze und klare politische Rückendeckung für kontroverse Themen.
- Materialien & Werkzeuge entwickeln: Unterrichtseinheiten, Reflexionsfragen, digitale Tools – didaktisch fundiert und auf den schulischen Alltag zugeschnitten.
- Monitoring & Forschung: Wie verändert KI den Schulalltag? Welche Effekte zeigt Demokratiebildung mit KI? Evaluationsprojekte und Begleitforschung sind essenziell.
Katalysator demokratischer Bildung
Die Künstliche Intelligenz verändert die Schule – ob wir wollen oder nicht. Damit sie kein bloßes Effizienz-Tool bleibt, sondern zum Katalysator demokratischer Bildung wird, braucht es Mut zur Gestaltung, Bereitschaft zur Reflexion und einen klaren pädagogischen Kompass. Lehrkräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle: Sie benötigen Sicherheit, Ausbildung und Unterstützung, um KI nicht nur technisch zu bedienen, sondern pädagogisch zu nutzen.
Demokratie lebt vom Diskurs, von Kritikfähigkeit, von Mitgestaltung. Genau diese Kompetenzen müssen Schülerinnen und Schüler im Umgang mit KI erlernen. Die Schule von morgen kann ein Labor für diese neue digitale Demokratie sein – wenn wir heute die richtigen Weichen stellen.