Bezahlbarer Wohnraum für Studierende wird immer knapper
In deutschen Universitätsstädten wird die Wohnungssuche für Studierende zunehmend zur Herausforderung. Längst reicht ein frühes Einschreiben in Wartelisten der Studierendenwerke nicht mehr aus, um rechtzeitig zum Semesterbeginn ein Zimmer zu finden. Während sich der öffentliche Wohnraum kaum erweitert, drängen zunehmend private Anbieter auf den Markt – mit hohen Mieten und luxuriösem Komfort, der für viele nicht finanzierbar ist.
Der überhitzte Wohnungsmarkt trifft Studierende besonders hart
Der deutsche Wohnungsmarkt steht unter Druck – das ist bekannt. Doch Studierende trifft diese Entwicklung besonders empfindlich. Ihnen fehlt oft das stabile Einkommen, um mit Mietsteigerungen Schritt zu halten. Laut dem MLP Studentenwohnreport 2024 sind die durchschnittlichen Mieten in studentischen Wohnformen im Vergleich zum Vorjahr um über fünf Prozent gestiegen. In Städten wie München, Berlin oder Frankfurt sind studentische Wohngemeinschaften oder kleine Apartments fast unerschwinglich geworden. Ein WG-Zimmer in München kostet durchschnittlich mehr als 700 Euro – ohne Nebenkosten.
„Ich hatte in meinem ersten Semester drei verschiedene Zwischenmieten und war ständig auf Wohnungssuche“, berichtet Lisa, 21, aus Frankfurt. „Man schreibt täglich zehn Mails und bekommt kaum Antworten. Die Konkurrenz ist riesig.“
Öffentliche Wohnheime: Günstig, aber knapp
Studierendenwerke bieten traditionell günstigen Wohnraum. Doch der Bedarf übersteigt das Angebot bei Weitem. Bundesweit stehen etwa 240.000 Wohnheimplätze rund 2,9 Millionen Studierenden gegenüber. Das bedeutet: Auf rund zwölf Studierende kommt rechnerisch nur ein öffentlich geförderter Platz.
Die Wartelisten sind lang. In Städten wie Freiburg oder Leipzig beträgt die Wartezeit für ein Wohnheimplatz oft mehr als ein Jahr. Hinzu kommen veraltete Bauten, Renovierungsstaus und eingeschränkter Komfort. Für viele junge Menschen mit begrenztem Budget wäre ein solcher Platz dennoch die einzige bezahlbare Option – wenn sie denn einen bekämen.
Privatisierung des studentischen Wohnens
In diese Versorgungslücke stoßen zunehmend private Investoren. Unternehmen wie BaseCamp, The Fizz, Student One oder iLive bauen in ganz Deutschland moderne Apartmenthäuser für Studierende. Diese sogenannten „Purpose-Built Student Accommodations“ (PBSA) bieten möblierte Einzelapartments, teilweise mit Gemeinschaftsräumen, Fitnessstudios, Cafés oder Lernzonen. Der Komfort ist hoch – der Preis auch.
Beispiel Berlin: Gabriela, eine Studentin aus Ecuador, zahlt in einem privaten Wohnheim 828 Euro für ein 19-Quadratmeter-Zimmer. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von 43,60 Euro – mehr als das Doppelte des Berliner Mietspiegels. Zum Vergleich: In einem Wohnheim des Studierendenwerks würde sie je nach Lage rund 300 bis 400 Euro zahlen. Doch dort bekam sie keinen Platz.
Warum Investoren auf Studentenwohnheime setzen
Die Gründe für den Boom privater Studentenwohnheime sind vielfältig. Zum einen wächst die Zahl der Studierenden in Deutschland, insbesondere der internationalen Studierenden. Zum anderen versprechen PBSA-Modelle stabile Renditen. Mietausfälle sind selten, die Nachfrage ist hoch, und durch befristete Mietverträge sowie möblierte Ausstattung lassen sich deutlich höhere Mieten erzielen als im klassischen Mietwohnungsmarkt.
Laut einer Analyse des Immobilienunternehmens PATRIZIA ist Berlin mittlerweile einer der drei attraktivsten Standorte Europas für studentisches Wohnen. Auch München, Hamburg und Leipzig gelten als Wachstumszentren. Der europäische Markt für PBSA ist nach Schätzungen von JLL rund 450 Milliarden Euro schwer – Deutschland ist davon bislang nur ein kleiner Teil. Doch Investoren entdecken das Potenzial. Zwischen 2011 und 2021 hat sich das Angebot an privaten Studentenapartments in Deutschland vervierfacht.
Vertragsfreiheit und rechtliche Grauzonen
Ein Grund für die Rentabilität liegt auch in rechtlichen Besonderheiten. Da private Wohnheime oft als „gewerbliche Beherbergung“ oder mit zeitlich befristeten Verträgen angeboten werden, greifen Regelungen wie Mietpreisbremse oder Kündigungsschutz nicht. Viele Verträge laufen exakt sechs oder zwölf Monate – eine Verlängerung gibt es nur zu neuen Konditionen.
„Wir hatten keine Wahl“, sagt Rafael, ein Maschinenbaustudent aus Spanien. „Das Zimmer war teuer, aber wenigstens verfügbar. Man muss den Vertrag sofort unterschreiben und zahlt zusätzlich noch Bearbeitungsgebühren, manchmal mehrere hundert Euro.“
Solche Praktiken sind rechtlich zulässig, sofern sie transparent kommuniziert werden. Doch der Druck auf die Studierenden macht echte Wahlfreiheit illusorisch. Wer keinen Platz in einem staatlichen Wohnheim bekommt und nicht bei Eltern wohnen kann, hat kaum Alternativen.
Luxus statt Lebensrealität
Der hohe Komfort in privaten Wohnheimen – von Highspeed-WLAN über Waschsalons bis zur Dachterrasse – steht oft in starkem Kontrast zur Realität vieler Studierender. Für Bafög-Empfänger:innen oder junge Menschen mit Teilzeitjobs sind Mieten von 800 bis 1.200 Euro schlicht unerschwinglich.
„Ich habe mich gefragt, für wen das überhaupt gebaut wird“, meint Jonas, Student der Soziologie in Hamburg. „Das ist nicht für die breite Masse. Das ist für die, die Unterstützung von den Eltern bekommen oder aus dem Ausland kommen und sich das leisten können.“
Chancen und Risiken für den Markt
Aus Investorensicht ist das Modell attraktiv: Hohe Auslastung, gute Lage, geringe Fluktuation. Besonders in Städten mit mehreren Hochschulen und hohem Zuzug sind die Aussichten stabil. Die Renditen liegen oft bei vier bis fünf Prozent jährlich. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass internationale Studierendenzahlen zurückgehen oder gesetzliche Regelungen verschärft werden.
Auch ethische Fragen stellen sich: Sollen Wohnangebote für Studierende ein Spekulationsobjekt sein? Oder muss der Staat stärker eingreifen, um Teilhabe an Bildung zu sichern?
Politik in der Pflicht
Der Ruf nach politischem Handeln wird lauter. Studierendenwerke fordern seit Jahren mehr Förderung und Bauland für neue Wohnheime. Doch der Ausbau geht schleppend voran. Ein Grund: Hohe Baukosten, komplexe Genehmigungsverfahren und begrenzte Mittel der öffentlichen Hand.
Gleichzeitig bieten Städte und Kommunen kaum steuerliche Anreize oder Förderprogramme für private Anbieter, die sich an sozialen Mietgrenzen orientieren. Das führt zu einer Schieflage: Während der öffentliche Sektor kaum wächst, wird der private Wohnungsmarkt teurer und elitärer.
„Studierfähigkeit darf nicht vom Geldbeutel abhängen“, sagt Anja Gottschling vom Deutschen Studentenwerk. „Wir brauchen dringend ein Bundesprogramm für sozialen studentischen Wohnraum, sonst verlieren wir eine Generation an Wohnungslosigkeit und Bildungsbarrieren.“
Wohnraumkrise als Bildungsfrage
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Studierende ist kein neues Problem – aber ein wachsendes. Private Anbieter füllen die Lücke, doch zu einem Preis, den viele nicht zahlen können. Die soziale Durchmischung an Hochschulen ist gefährdet, wenn nur noch zahlungskräftige Studierende sich das Studium in Großstädten leisten können.
Eine nachhaltige Lösung braucht politisches Engagement, kreative Baukonzepte und eine Stärkung des öffentlichen Wohnraumangebots. Private Investitionen können ergänzen – aber nicht ersetzen. Bildung braucht Raum – und zwar bezahlbaren.